
Peter Eberli, Mobilec E-Mofa Entwickler
Auf Weihnachten 2014 schenkte mir meine Schwester eine Tasse. Sie musste gewusst haben, dass in meinem Junggesellenhaushalt Suppenteller und Kaffeetassen jeweils nur eine kurze Lebensdauer erreichen bis dass sie durch meine sträfliche Unaufmerksamkeit jämmerlich auf dem harten Küchenboden zerschellen. So dachte meine Schwester, dass so eine Tasse sicherlich das sinnreichste Weihnachtsgeschenk ist.

Es ist keine übliche Tasse, die da meine Schwester mir schenkte, nein sie hebt sich in äusserst persönlicher Weise von allen anderen ab. Schon ihre Form ist bewunderungswert, schlank und hoch, gleichsam einem den Frühling geniessenden Blütenkelch. Und dann die Farbe, ein leuchtendes Gelb, sodass die Tasse am Morgen selbst mit schläfrigen Augen im Küchenschrank sofort zwischen dem standardmässigen Geschirr hervorsticht. Kein langes Suchen mehr. Dann der Henkel, gross und fein abgerundet, sodass ich ihn mit meiner alternden linken Hand noch gut umfassen und die gefüllte Tasse mit ziemlicher Sicherheit an den durstigen Mund führen kann. Und dann die einzigartige Dekoration. Meine Schwester hat ihre ganzen künstlerischen Fähigkeiten in den Schriftzug “Pierre” einfliessen lassen, welchen sie gar mit kleinen lieblichen Herzchen umfliegen lässt. Aber das Unglaublichste an dieser Tasse ist die Entdeckung, die ich in deren weissen Innern gemacht habe, ein rot leuchtendes Herzchen mutterseelenallein etwa eine Fingerbreite vom oberen Tassenrand entfernt.

Dorli’s gelbes Tassengeschenk für Pierre
Etwas besorgt habe ich dann meine Schwester gefragt ob denn alle diese Schönheiten den Kaffee aufwärmenden Wellen im Mikroofen standhalten werden. Drei Stunden lang, antwortete sie mir mit erstaunenswertem Fachwissen, hätte sie die Malerei im Bratofen bei 150°C eingebacken, beste Garantie für ein ewiges Leben.
Bis anhin gab es ein kleines Problem. Einst besass ich vier Morgenmilch- Trinkkacheln die allesamt, mit Ausnahme einer einzigen, der grünfarbenen, am Küchenboden kläglich zerschellten. Die überlebende grüne Kachel hütete ich deshalb mit besonderer Sorgfalt, mit soviel Sorgfalt, dass ich sie gar zu lieben anfing. Jeden Morgen füllte ich sie mit heisser belebender Milch. Wegen dem grossen Durchmesser und deshalb grossen Oberfläche der Kachel gab es allerdings meist Schwierigkeiten mit dem Entfernen der Milchniedel. Die Niedel verteilte sich immer auf dieser grossen Oberfläche und wurde dadurch sehr dünn und brüchig. Sie klebte in unangenehmer Weise am Löffel und verunstaltete anschliessend das Abwaschwasser im Schüttstein. Ich bin gar nicht ein heikler Trinker und Esser der die Hälfte der Nahrung aus zimperlichen, visuellen oder religiösen Gründen verschmäht. Nur zwei Lebensmittel kann ich auch heute noch nicht verkraften, Milchreis, weil es solches im Kinderheim, in welchem ich zeitweise weilte, dreimal in der Woche zum Essen gab, und Milchniedel die in so abstossender Weise die Speiseröhre hinunter schlittert.
Am 26. Dezember wage ich es zum ersten Mal die neue Tasse meiner alten Kachel gegenüber zu stellen. Konkurrenzbedenken! Mit Staunen stelle ich fest, dass der Inhalt der viel zierlicher erscheinenden Tasse demjenigen der Kachel gleich ist. Die Dekorationen meiner Schwester überstehen den ersten Mikrowellenofentest bestens, weder der Schriftzug noch die roten Herzchen verblassen. Unglaublich aber wahr, wegen dem kleineren Durchmesser der Tasse wird die Niedel dicker und fester und ich kann sie ohne Hilfe eines Löffels direkt mit dem Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand abheben (ich bin ja allein und niemand kann mir zuschauen) und direkt im Schüttsteinloch verschwinden lassen. Nervenberuhigender Zeitgewinn!

Vor einigen Jahren las ich in einem Heftli, wie man sich ernähren muss um gesund zu bleiben. Da gab es eine Tabelle in welcher aufgelistet war wie viel Gramm von Grundnahrungsmitteln pro Tag eine Frau oder ein Mann abhängig vom Nettogewicht und der Tätigkeit einnehmen darf um nicht vom Unter- oder Übergewicht eingeholt zu werden. Wegen meinem eher bescheidenen Gewicht habe ich Recht auf enttäuschend kleine Mengen: 180g Reis oder 125g Teigwaren pro Tag. Obwohl ich ganz und gar kein strukturiertes Leben führe, habe ich mich trotzdem immer diszipliniert an diese, von einer anerkannten Ernährungsspezialistin ermittelten das Leben verlängernden Quantitäten gehalten. So benütze ich die Küchenwaage um die genauen mir zustehenden Nahrungsmittelmengen auszumessen.
Heute habe ich plötzlich die Idee, die abgewogenen 125g Hörnli in die Tasse abzufüllen um herauszufinden, wie viel Volumen diese Teigwaren darin einnehmen. Das beobachtete Niveau liegt genau eine Zeigfingerbreite unter dem Spitzchen des roten Herzchens im Inneren der Tasse. Unglaublich, diese Wundertasse wird mich in Zukunft vom aufwendigen Hervorklauben der Küchenwaage bewahren. Begeistert von dieser Entdeckung fülle ich auch die 180g Reiskörner in die Tasse ab. Das Reisniveau pendelt sich genau zwei Zeigfingerbreiten unter dem Spitzchen des Herzchens ein. Auch an Reistagen wird nun die Küchenwaage arbeitslos verbleiben.
So wie der Maler von seinem Pinsel, der Schlosser von seiner Zange, der Bänkeler von seinem I-Phone, der Bauer von seinem Traktor und der Notar von seiner Füllfeder, werde ich jetzt von dieser alles könnende Wundertasse abhängig sein.
Und wenn die Tasse trotz höchster Sorgfalt doch einmal auf dem harten Küchenboden in tausend Stücke zerschmettern sollte, was dann? Es gibt Dinge im Leben, die man ganz einfach aus seinem Vorstellungsvermögen verbannen muss!