Mich schiesst’s au a!

Peter Eberli, Mobilec E-Mofa Entwickler

Meine Mission in St Gallen hatte den ganzen Tag gedauert und ziemlich müde stieg ich in den Schnellzug Richtung Welschland ein. Ich würde trotz der schönen abendlichen Ostschweizerlandschaft einschlummern und mich gütlich erholen, so dachte ich es wenigstens. Ich wählte den Einzelsitz ganz hinten rechts im Wagen, wo man nicht durch einen zu nahe sitzenden Cervelats kauenden Nachbarn gestört werden kann. Der Zug fuhr an. Ein jüngerer Bursche kam forsch durch die ganze Wagenlänge nach hinten geschritten und peilte genau meinen Sitz an. Als er mich erblickte, warf er mir einen zehn Sekunden langen gehässigen Blick zu und plumpste dann aber wortlos auf die linke Doppelsitzreihe und klaubte seinen Laptop aus dem Rucksack. Erst jetzt erinnerte ich mich daran, dass sich neben meinem Sitz eine Stromdose befand, an welcher die Laptöpeler ihre Geräte auf Kosten der SBB betreiben konnten.

Die Ohren sausen

https://www.srf.ch/radio-srf-1/radio-srf-1/lautes-telefonieren-ist-die-groesste-unhoeflichkeit-im-alltag

In Gossau stiegen Leute zu und der Wagen war jetzt recht gut besetzt. In fast allen Abteilen wurde heftig telefoniert und so war es um die erhoffte Ruhe endgültig geschehen. Klärli erklärte dem Anneli, dass es jetzt im Zug sei und bald in Zürich ankommen würde. Ida offenbarte ihrem Schneggli, dass es gerade eben am halbtaxeln sei aber nicht mehr wisse wo sich der Zug jetzt befände. Kari erklärte dem Martin, dass die Disco huere geil war und er dort wieder hingehen würde. Und eine laut wispernde Dame stöhnte über ihren wunden linken Vorderarm. Aus dem Kopfhörer des Burschen in der linken Sitzreihe begann es nun zu quietschen, die Basstöne irgendeiner Elektro- oder Metallmusik. Als Ruhebedürftiger hätte ich jetzt eigentlich in den Wagen wechseln müssen, in welchem die SBB blaue Schilder mit der Aufschrift „Ruhezone“ aufgeklebt hatte. Aber aus Erfahrung wusste ich, dass auch dort tüchtig telefoniert und geschwafelt wurde und somit ein Wagenwechsel absolut sinnlos war.

Wo ist der Ruhewagen?

In Wil stiegen mehr Leute zu von denen die Mehrzahl schon beim Hereinkommen ihre Phons an die Ohren drückten. Wenn alle am telefonieren sind, sollten die Details der Einzelgespräche eigentlich im allgemeinen Geplapper untergehen, so meinte ich es wenigstens. Aber da baute sich in diesem Geplappermeer ein regelrechter Tsunami auf. Ein Mädchen wurde immer lauter und übertönte schliesslich alles Bisherige. Nicht nur die unangenehme schrille Stimme war nervenzermürbend, sondern auch die Wortwahl die von obergeil bis zu huere blöd reichte. In mir begann es nun langsam aber sicher zu köcheln, ja gar zu brodeln. Im geheimen hoffte ich, dass irgendeine telefonlose Person mutig aufstehen und diesem verflixten Tüpfi den Mund stopfen würde. Aber nichts geschah.

Und wenn ich der Mutige wäre, der dieser verruchten Person einen Knebel ins Mundwerk drücken könnte? Mein Gehirn begann auf Hochtouren zu arbeiten, statt Schlummern war nun Aktion angesagt. Ich legte verschiedene Schlachtschemas zurecht. Ganz zuerst musste ich aber herausfinden in welchem Abteil dieses Tüpfi sein Unwesen trieb. So tastete ich mich denn ganz unauffällig und vorsichtig durch den Mittelgang von Sitzreihe zu Sitzreihe nach vorne vor, vorbei an telefonierenden Laptöplern und Kopfhörerfans. Im vierten Abteil war sie! Ganz allein im Abteil mit nackten Füssen auf den Gegensitzen ausgebreitet, schreite sie ihre Weisheiten ins Miniaturtelefon hinein. Nun war es an mir zu handeln. Unauffällig kehrte ich zu meinem Sitz zurück um hier den definitiven Angriff zu planen.

Psst!

Neben das Tüpfi sitzen und ihm das Telefon vom Ohr reissen und sich dann entschuldigen wegen einem ungewollten Ausrutscher? Nein, das war zu riskant. Neben das Tüpfi sitzen, eine Hand ans Ohr anlegen und so tun als würde ich auch telefonieren und das mit einer Lautstärke, dass dem Tüpfi vor Schreck geradewegs der Atem ausginge. Das war schon gefahrloser ausführbar, aber eben, erforderte doch einiges an Mut. Gegenüber dem Tüpfi hinsitzen um es zu zwingen die Füsse wegzuschwenken was es sicher stark im Gespräch stören würde. Diese Variante benötigte weniger Mut aber das gewollte Resultat war eher unsicher. Wie ich so sinnierte, wurde meine Umwelt immer lauter, als müssten alle Telefonierenden sich gegenüber dem Tüpfi behaupten. Ich war einer Explosion schon gefährlich nahe. Ich musste handeln, koste es was es wolle! Gleichzeitig war ich beschämt, dass ich noch immer nicht die Zivilcourage aufgebracht hatte, endlich zu explodieren.

Ruhe?

Und dann, ganz unverhofft, kam die Chance meines Lebens! Das Tüpfi legte nochmals einige Dezibels zu und trompetete jetzt Wörter wie „megageil“, „Schiesst’s di au a“, „Mich schiesst’s au a“ in die Umwelt hinaus. Ich benötigte nur eine halbe Sekunde um meine beiden Lungenflügel mit einem Maximum von Luft zu füllen und dann mit aller Gewalt, mit aller meiner Kraft „Mich schiesst’s au a !!!!!!!!!“ in den Wagen hinaus zu schleudern.

Das wirkte wie ein Bombeneinschlag, Telefone fielen auf den Boden, Laptops klappten zu, Kopfhörer wurden von den Ohren gerissen und es herrschte schlagartig kirchliche Ruhe im Wagen. Das Tüpfi war völlig erledigt. Und niemand wusste von wo die Bombe kam, da die hohen Sitzlehnen im Schnellzug die Sicht auf die Mitreisenden verunmöglichen.

Author: Peter Eberli