Winterzeit

Peter Eberli, Mobilec E-Mofa Entwickler

Gegen Ende Oktober wird es nicht nur kühler, nein, die Armband- und Kirchturmuhren und alle anderen Zeitmaschinen müssen auf Winterzeit umgestellt werden. Genau um 3 Uhr am Sonntagmorgen muss es geschehen; so will es die offizielle Vernehmlassung. Und, wie jedes Jahr, hatte ich auch diesmal wieder vergessen, ob ich nun meine Armbanduhr eine Stunde vor oder vielleicht doch zurück drehen musste. Und wie jedes Jahr hatte ich nicht den Mut diese Frage an meine Nachbarn zu richten, da dies doch sicherlich von einer minderen Allgemeinbildung gezeugt hätte.

So zog ich, wie jedes Jahr, meinen Weltatlas aus dem Büchergestell, öffnete ihn auf der vorletzten Seite, wo die um die Sonne kreisende Erde abgebildet ist. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sich das auf meine Armbanduhr auswirken könnte, wenn die Erde eine Stunde früher oder eine Stunde später um die Sonne kreisen würde. In welchem Fall würde der Morgen früher morgen sein? Oder müsste es schlussendlich doch später morgen werden? Mein Wissensbereich war eindeutig, wie jedes Jahr, überschritten und der Atlas fand wieder seinen Platz im Büchergestell. Enttäuscht über mich selber, versuchte ich mich mit einem Blick in die Lokalzeitung zu erholen, wo wesentlich weniger problematische Dinge behandelt wurden.

Die gewonnene Zeit

Durch puren Zufall entdeckte ich neben dem Zeitungstitelkopf eine kleine Zeichnung, eine Uhr darstellend die 3 Uhr morgens zeigte und mit einem dicken roten Pfeil versehen war der auf 2 Uhr deutete. Daraus schloss ich folgerichtig, dass ich meine Armbanduhr eine Stunde zurückstellen musste. Ein kluger Wissenschaftler, und klug musste er ja sein, sonst hätte er den roten Pfeil nicht mit Sicherheit in der richtigen Richtung einzeichnen und in der Zeitung abdrucken lassen können, hatte mir also das knifflige Problem mit dem Armbanduhrumstellen elegant und diskret gelöst.

Ich zog die Krone sachte aus meiner Armbanduhr und rotierte die Zeiger flott zurück in die Winterzeit.

Erst jetzt erinnerte ich mich, wie jedes Jahr, daran, dass ich ja Besitzer von noch vielen anderen Uhren war, die nun alle ebenfalls rückgestellt werden mussten. Bei der altmodischen mechanischen Küchenuhr beherrschte ich diese Prozedur problemlos.

Eine Sekunde bitte
Das Badezimmer

Bei der Tischuhr, die mit einem neumodischen Quarzsystem ausgerüstet war, ging es schon weniger gut. Vor dem Verstellen der Zeiger musste das Antriebswerk von den Zeigern losgekuppelt werden. Weil ich dies, wie jedes Jahr, vergass, schnappten die Zeiger mit einem lauten Kratzgeräusch über drei Stunden nach vorne und die Uhr begann erst wieder zu ticken, nachdem ich sie tüchtig durchgeschüttelt hatte. Ich lästerte ein wenig. Die Prozedur musste, diesmal sorgfältigst, wiederholt werden.

Dann zur Badezimmeruhr, die ich einstmals vom Lieferanten der Badewannenplättli als Geschenk bekam. Auch bei dieser musste ein Knopf herausgezogen werden, bevor die Zeiger rotiert werden konnten. Und wie jedes Jahr wusste ich, dass dieser Knopf beim Wiederhineindrücken abbricht. Deshalb hatte ich mir schon zuvor ein Tübchen 5-Sekundenkleber besorgt um den Knopf sofort nach dem Bruch wieder ankleben zu können. Und, wie jedes Jahr, klebte der Knopf schliesslich pickelhart an
meinen Fingern statt an der Uhr. Mein Lästern ging unwiderruflich ins Fluchen über. Aber trotzdem, die Uhr war jetzt wenigstens für den Winter eingestellt.

Donnerwetter

Dann hinüber ins Esszimmer, wo stolz die Wetterstation auf der Kommode thronte. Die Wettervorhersage musste aus irgend einem Grund eng mit der Zeit verknüpft sein, denn in diesem Meisterwerk modernster Technik befand sich eine Uhr die Sekunden, Minuten, Stunden Monate und Jahre digitalisiert auf den Minibildschirm produzierte.

Damit die Möglichkeiten dieses Wunderwerks voll ausgeschöpft werden konnten, standen sage und schreibe dreizehn Druckknöpfe zur Verfügung. Aber, wie jedes Jahr, musste ich entdecken, dass mir keiner dieser Knöpfe erlaubte in einfacher direkter Weise die Zeit eine Stunde rückzustellen. Dazu musste zuerst ein Einstellmodus gewählt werden, was durch Drücken des schwarzen Knopfs während mindestens drei Sekunden erreicht werden konnte. Erst dann begannen verschiedene Angaben auf dem Bildschirm zu blinken, und mit andern Knöpfen konnte dann innerhalb einer oder zwei Sekunden eine Verstellung der blinkenden Werte erreicht werden. Das hört sich recht einfach an, ist es aber nicht.

Spende Blut hole eine Tissot

Das letzte Jahr gelang mir die Einstundenrückstellung erst nach zwanzig Minuten, da ich beim Blinken zu lange überlegte, welchen Knopf ich als nächsten drücken musste und ich daher wegen dem Überschreiten der Zeitlimite stets wieder in den Betriebs- statt den Einstellmodus verfiel. Das wohlverstanden mit der Gebrauchsanleitung auf den Knien. Aber dieses Jahr konnte ich, trotz stundenlangem Suchen, die Betriebsanleitung nicht mehr finden. So musste ich auf gut Glück versuchen meine Wetterstation um eine Stunde rückzustellen. Nach etwas über einer Stunde hatte ich es fertig gebracht, dass die externe Temperaturanzeige nicht mehr funktionierte, die Uhrzeit aber immer noch auf Sommer stand. Ich fluchte und war fuchsteufelswild. Schliesslich entledigte ich mich von diesem lästigen Problem indem ich einen Post-it auf die Wetterstation klebte auf dem ich geschrieben hatte, dass während der Winterzeit jeweils eine Stunde von der angezeigten Zeit abgezählt werden muss. Das hatte zudem den riesigen Vorteil, dass ich mich auch zukünftig nicht mehr um die Zeitverstellung der Wetterstation kümmern musste.

Als ich zum hundertsten Mal Blut spendete, schenkte mir das Rote Kreuz eine wunderschöne Tissot-Armbanduhr, eine so schöne, herrschaftliche, vornehme Uhr wie ich sie in meinem ganzen Leben nie besessen hatte. Sie ist zu schön zum Tragen und so verbringt sie ihr Sein, von jeglichen Umwelteinflüssen sorgfältig abgeschirmt, in der mit Samt ausgelegten Geschenkpackung. Dies hat den herrlichen Vorteil, dass wenigstens sie mich nicht mit Sommer- und Winterzeiten belästigt.

Author: Peter Eberli